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Forschungsprojekt

Stand: 4.9.2025

Marie Babette Bloch(*)

Die Lebenswege der jüdischen NS-Kollaborateurin, Gehilfin und Geliebten des NS-Kriegsverbrechers Herbert Andorfer

Im Jahr 1944 trat die Jüdin Marie Babette Bloch in Mittelitalien in Kontakt mit dem SS-Sturmführer Herbert Andorfer, dem ehemaligen Leiter
des Konzentrationslagers Sajmište bei Belgrad und Leiter des SS-Außenkommandos in Macerata. In der Folgezeit übernahm sie die Funktionen einer Dolmetscherin und Sekretärin und ging zugleich eine intime Beziehung mit Andorfer ein. Sie begleitete ihn fortan bei Militäroperationen in Norditalien. Im Frühjahr 1945 gelang beiden der Grenzübertritt in die Schweiz, wo im Herbst desselben Jahres die Eheschließung erfolgte. Damit verwirklichte Andorfer den Straftatbestand der Bigamie.

Im Jahr 1946 erhielt das Ehepaar, das sich nunmehr „Mayer" nannte, ein Einreisevisum für Venezuela. Grundlage der Emigration bildete die
jüdische Abkunft und das Vermögen Marie Babette Blochs, das bei der National Bank in New York deponiert war und die Finanzierung der Flucht über Göteborg und New York ebenso wie den Aufbau einer neuen Existenz in Südamerika ermöglichte. In den frühen 1950er Jahren kam es zur Trennung der Eheleute, 1956 zur rechtskräftigen Scheidung. Andorfer musste sich 1969 vor dem Landgericht Dortmund aufgrund des Vorwurfs der Beihilfe zum Mord in mindestens 5.500 Fällen strafrechtlich verantworten. Über die gemeinsame Vergangenheit äußerten sich jedoch weder er noch Marie Babette Bloch jemals öffentlich. Andorfer verstarb im Jahr 2003 im Alter von 92 Jahren in einem Altersheim in Anif (Österreich). Das letzte nachweisbare Lebenszeichen Marie Babette Blochs datiert aus dem Jahr 1980 und ist in Venezuela zu verorten.

Die Tatsache, dass zwischen 1944 und 1945 eine sowohl berufliche als auch intime Beziehung zwischen Bloch und Andorfer bestand und diese
Verbindung über Jahrzehnte hinweg andauerte, ist von erheblicher wissenschaftlicher Relevanz. In der historischen Betrachtung drängen sich in Bezug auf Blochs Rolle Parallelen zu den Fällen Stella Goldschlag, Anna van Dijk und Celeste di Porto und vor allen Dingen zu Helena Citron auf. Gleichwohl bleibt zu prüfen, ob die Zuschreibung des Verrats oder der Kollaboration im juristischen wie moralischen Sinne tatsächlich gerechtfertigt erscheint.

Zu klären ist insbesondere, welche Motive Andorfer 1944 dazu veranlassten, eine Beziehung mit einer Jüdin einzugehen und Bloch nicht
nur in seine persönliche, sondern auch in seine militärische Sphäre einzubeziehen. Die Frage nach der Wirkung der Anwesenheit einer Frau
innerhalb des „Sonderkommandos Andorfer" auf die Dynamik der Partisanenverfolgungen in Italien blieb folglich gleichfalls bislang
unbeantwortet. Von gleicher Relevanz sind die Handlungsweisen der Schweizer Behörden, die bereits 1945/46 umfangreiche Aktenbestände von
über 350 Seiten zum Ehepaar zusammenstellten. Schließlich bedarf es einer Untersuchung der Umstände, die es Andorfer trotz seiner Beteiligung am Massaker von Bassano del Grappa ermöglichten, über Jahre unbehelligt in Italien einer Tätigkeit als Reiseleiter nachzugehen.

Das Forschungsprojekt nimmt sich dieser Fragen an und richtet den Fokus insbesondere auf die Biographie Marie Babette Blochs, die als
Angehörige der jüdischen deutschsprachigen tschechischen Oberschicht eine bislang kaum erforschte Perspektive innerhalb der
Täter-Opfer-Konstellationen des Zweiten Weltkrieges eröffnet.

(*) Alias: Marie Babette Bloch-Fürstenberg, Marie Fürstenberg, Marie Babette Mayer-Fürstenberg, Marie Mayer, Marie Babette Bloch-de Lapsien.

     
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